Vom Vertriebshelfer zum Monopolisten? Die unterschätzte Macht der MICE-Portale
Evy, Tigran und Bernd diskutieren über die Ergebnisse der neuesten IHA-Umfrage zum Thema MICE-Portalanbieter
Persönliche Interpretation von Bernd Fritzges zur IHA-Auswertung "Bedeutung und Verbreitung von MICE-Portalanbietern in Deutschland“
Die Zahlen sprechen für sich: Digitale Vermittlungsplattformen spielen im MICE-Segment eine zunehmend sichtbare Rolle. Mehr als 60 Prozent der befragten Hotels der aktuellen IHA Umfrage (Juni-Ausgabe der IHA “M@ilnews” 2025) nutzen bereits Meetago, gefolgt von MICE Portal, Cvent, Tagungshotel.net oder Event-Inc. Doch so deutlich diese Nutzung auch ausfällt, so ambivalent ist ihre Bedeutung für die strategische Entwicklung der Hotellerie.
Der digitale Vertrieb im MICE-Segment: Status quo
Laut der aktuellen IHA Erhebung generieren über die Hälfte der Hotels weniger als zehn Prozent ihres Veranstaltungsumsatzes über digitale MICE-Portale. Nur ein knappes Fünftel erzielt mehr als 25 Prozent über diesen Kanal. Anders gesagt: Trotz ihrer allgegenwärtigen Wahrnehmung spielen Plattformen im Gesamtmix vieler Betriebe noch eine untergeordnete Rolle.
Diese Zahl deckt sich mit den internen Auswertungen von MICE DESK. Dort laufen im Durchschnitt rund 75 Prozent aller Anfragen formlos und direkt in den Hotels ein. Die restlichen 25 Prozent enthalten allerdings nicht nur klassische Portale, sondern auch die Anfragen, die über zentrale Verkaufsbüros großer Hotelketten bearbeitet werden.
Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch im Blogbeitrag „MICE-Portale: Revolutioniert. Maximiert. Was nun?“ vom 18. März 2024 ab (Quelle: www.mice-guy.com). Darin wird ebenfalls deutlich, dass das Narrativ der Plattformrevolution im MICE-Geschäft oftmals mehr mediale Wirkung entfaltet als operative Realität. Die Frage, ob Portale wirklich den Vertriebsalltag effizienter und kundenorientierter gestalten, bleibt unbeantwortet. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass klassische Direktanfragen nach wie vor die dominante Rolle spielen, trotz des technologischen Fortschritts.
Roland Elter, Geschäftsführer der Maritim Hotels, bringt es in seiner Einschätzung auf den Punkt:
„Für uns sind Portale relevant zum einen für internationale Geschäfte, dort haben sie neben dem eigentlichen Anfrageprozess auch eine Funktion als Community für Meetingplaner und können Reichweite und Kommunikation mit Nachfrager ermöglichen. Zum anderen haben wir eine Beziehung in Deutschland, weil unserer Firmenkunden MICE-Portale als Dienstleister nutzen. Geschäfte mit unseren Bestandskunden bilden den größten Anteil. Eine vor Jahren noch prognostizierte Entwicklung, im Bezug auf zunehmende Einkäufe über Portale, tritt nicht ein und es bleibt sehr aufwendig. Anbieter und Nachfrager finden sich mittlerweile auch ohne Portal im Internet.“
Das heißt aber nicht, dass die Wirkung der MICE Portale vernachlässigbar ist. Im Gegenteil: In bestimmten Segmenten, insbesondere bei Kettenhotels und in urbanen Räumen, liegen die Anteile deutlich höher. Hier fungieren die Plattformen bereits als strukturierende Gatekeeper für relevante Anfragen und damit als Machtfaktor im Distributionssystem.
Plattformnutzung zwischen Effizienz und Abhängigkeit
Plattformen versprechen Standardisierung, Schnelligkeit und Reichweite. Für Hotels mit knappen Ressourcen klingt das nach einem logischen Schritt. Doch wer einmal tiefer in die Zahlen schaut, erkennt ein Spannungsfeld: Der Anteil der digitalen Buchungen ist nach wie vor relativ gering, der Aufwand zur Integration der Plattformprozesse jedoch hoch. Für Convention Sales Manager bedeutet das keineswegs eine Entlastung. Im Gegenteil: Die Pflege von Portalprofilen, das Einpflegen von RFPs und die damit verbundenen Prozessbrüche verursachen zusätzlichen manuellen Aufwand. Statt Effizienz entsteht oft ein Mehraufwand, der bestehende Systeme und Abläufe ausbremst, ohne tatsächliche Vorteile für den Arbeitsalltag zu schaffen.
Mehr als 80 Prozent der Häuser bearbeiten Anfragen immer noch manuell. Automatisierte Tools sind rar, ihre Interoperabilität oft eingeschränkt. Und in vielen Fällen bestimmen die Plattformen selbst, mit welchen Tools sie "technologisch kompatibel" sind. Ein Umstand, der den offenen Wettbewerb einschränkt, ohne dass es sofort auffällt. Für genau diese Herausforderungen hat MICE DESK gezielt Lösungen entwickelt, um Hotels bei der Prozessautomatisierung unabhängig von Plattformvorgaben zu unterstützen und gleichzeitig die Effizienz im Convention Sales zu steigern.
Wo beginnt Marktbeherrschung?
Die Kombination aus großer Reichweite und technischer Abhängigkeit wirft kartellrechtlich relevante Fragen auf. Denn Plattformen, die über 40 Prozent Marktanteil erreichen und gleichzeitig Einfluss auf die Toolnutzung nehmen, bewegen sich nah an der Grenze zu einer marktbeherrschenden Stellung.
Besonders heikel: Wenn Plattformen direkt oder über verbundene Unternehmen eigene Systeme in den Markt drücken, könnte daraus ein System entstehen, in dem Auswahlfreiheit durch technische Vorgaben ersetzt wird. Das reduziert nicht nur die Wettbewerbsvielfalt, sondern auch die Innovationskraft.
Was bedeutet das für Entscheider in der Hotellerie?
Für Hotelmanager liegt die Herausforderung darin, den richtigen Umgang mit Plattformen zu finden: Sie zu nutzen, ohne sich ihnen zu unterwerfen. Denn Plattformen sind nicht per se gut oder schlecht. Ihre Rolle hängt davon ab, wie sehr sie den Markt öffnen oder eben abschotten.
Ein souveräner Umgang bedeutet:
Digitale Prozesse im eigenen Haus stärken, ohne sich blind von externen Systemlogiken abhängig zu machen.
Schnittstellen hinterfragen und nicht jeden Toolvorschlag unhinterfragt übernehmen.
Zahlenbasierte Entscheidungen treffen: Wie viele Buchungen kommen wirklich über Plattformen? Lohnt sich der Aufwand?
Auch Elter sieht den Einfluss der Plattformen differenziert:
„Im Geschäft mit Vertragskunden in Deutschland sind die MICE-Portale gesetzt. Da bestehen leider Abhängigkeiten. Unser Fokus ist aber unser Kunde, nicht das Portal. Die Majorität der Geschäfte über Portale entfällt auf diese Kunden, Geschäfte aus dem freien Markt erreichen uns weniger und wenn, mit sehr geringer Realisierung. Daher fokussieren wir darauf nicht. Wir haben das einige Jahre kontinuierlich und detailliert analysiert. Es gibt zum Glück Alternativen.“
Ein Ausblick mit Fragezeichen
Die digitale Vermittlung von MICE-Leistungen wird zunehmen, keine Frage. Aber ob daraus ein gleichgewichtiger Markt mit echten Alternativen entsteht, ist offen. Entscheidend wird sein, ob Plattformanbieter bereit sind, Offenheit und Fairness zu praktizieren. Oder ob sie den eingeschlagenen Weg der Integration und Exklusivität weitergehen.
Denn je mehr Hotels ihre Prozesse um die Plattformlogik herum organisieren, desto weniger Flexibilität bleibt ihnen. Und desto größer wird das Risiko, sich langfristig von einem System abhängig zu machen, das nicht unbedingt im Sinne der Hotellerie agiert.
Fazit: Digitale Souveränität ist der Schlüssel
Plattformen können den Vertrieb im MICE-Bereich unterstützen, Prozesse beschleunigen und Reichweite erzeugen. Doch sie dürfen nicht zum alles beherrschenden Nadelöhr werden. Hotelmanager sind gut beraten, die Plattformfrage nicht nur operativ, sondern strategisch zu betrachten.
Denn am Ende geht es nicht nur um Buchungen, sondern um Unabhängigkeit, Gestaltungsfreiheit und die Frage: Wem gehört eigentlich der Zugang zum Gast von morgen?